Es könnte so aussehen, als sei Russland aufgeweicht. Der als Faustpfand gehandelte amerikanische Journalist Evan Gershkovich darf nach über einem Jahr in russischer Gefangenschaft wieder seine Familie umarmen. Doch es ist der Westen, der sich abermals Russland fügt – aus vertretbarem Grund. Und Deutschland spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Die Entwicklung im Falle Gershkovichs dürften einige Russlandkenner vorhergesehen haben – dass der Gefangenenaustausch vergangene Woche jedoch so groß angelaufen ist, überrascht trotzdem. Der amerikanische Journalist hatte für das Wall Street Journal gearbeitet, als er vor über einem Jahr wegen angeblicher Spionage festgenommen wurde. Erst vor ein paar Wochen dann der Prozess – der erst vertagt wurde, um Zeit für letzte Vorbereitungen und Gespräche zwischen den Geheimdiensten des wahrscheinlich Jahre lang geplanten Austausches zu gewinnen. 15 Jahre Straflager waren für ihn dann etwa einen Monat später herausgekommen. Nun wurde Gershkovich wieder zurück in der Heimat in Empfang genommen, inklusive Händeschütteln mit Joe Biden.
Deutschland dürfte bei dem Erlösen der 16 vorwiegend Aktivisten und Journalisten aus den Gefängnissen Russlands und Belarus wohl kein geringes Mitspracherecht gehabt haben. Schließlich wollte Putin unbedingt seinen Krassikow, den Tiergartenmörder zurückbekommen. Dieser hatte 2019 auf offener Straße einen Menschen in Berlin erschossen. Eigentlich war er 2021 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die deutsche Bundesregierung erklärte über den Regierungssprecher Hebestreit, dass die Schutzverpflichtung gegenüber deutschen Staatsangehörigen sowie die Solidarität mit den USA überwogen. Fraglich ist, wie sehr der Rechtsstaat darunter leidet, wenn Urteile plötzlich nicht mehr gelten.
Dass es jetzt tatsächlich zu einem Austausch der Gefangenen gekommen ist, markiert ein historisches Ereignis. Seit Ende des kalten Krieges 1990 gab es kein vergleichbares Evenement. Es könnte so schön sein, wäre da nicht der Beigeschmack, dass man zu unfairen Bedingungen getauscht hat. Denn die Crux ist: Der Westen lässt acht verurteilte Schwerverbrecher frei, Russland und Belarus 16 zu Unrecht inhaftierte Kämpfer für Demokratie oder wegen Lappalien eingesperrter Menschen.
Aus Sicht des Menschenwohls ist es letztendlich mehr als eindeutig, dass es richtig ist, diesen Deal eingegangen zu sein. Falls das alle Bedingungen im Austausch zwischen Menschenleben und Menschenleben sind und man auch Putin nach dem Tausch in keiner bestimmten Erwartungshaltung zurückgelassen hat, darf man die Geheimdienste loben, die hervorragende Arbeit im Hintergrund geleistet haben, allen voran der türkische, der an diesem Wochenende Zusammenkunft der vielen zersplitterten Familien darstellte.
Es ist ein profitabler Deal für Putin. Zu profitabel. Acht Gefangene wurden auf Seite des Westens freigelassen, darunter Elite-Spione wie der Tiergartenmörder. Oder das Ehepaar Artem Dultsev und Anna Dultseva, die Ende 2022 als russische Spione enttarnt wurden. Diese haben geschwiegen, Staatsgeheimnisse für sich behalten. Putin belohnt das.
Hätte ein 1 zu 1 Deal – Journalist Gershkovich gegen Tiergartenmörder Krassikow – stattgefunden, wie es zu Beginn hieß, hätte der Deal vermutlich anders ausgesehen, wenn er überhaupt stattgefunden hätte. Dann hätte man europäische Werte weggetauscht und sich vor Russland ergeben.
Aber auch in dem Ausmaß muss man konstatieren, dass man Putins Vorstellungen nachgekommen ist und daher europäische Werte wie geltende Rechtssprechungen möglicherweise zu kurz gekommen sind. Immer wieder hatte er dringlichst kommuniziert, er wolle den Tiergartenmörder zurückbekommen. Es zeigt, dass der Westen im Zweifel nachgibt. Wenn jedoch mit der Todesstrafe gedroht wird, sind das natürlich alarmierende Zustände, bei denen man schon sehr unbarmherzig sein muss, wenn man den Deal nicht in die Wege leiten lässt. Putin hat wieder getrickst, trotzdem zählt am Ende das Ergebnis, dass sechzehn Menschenleben wieder in Freiheit leben können. Manche hätten noch über zehn Jahre im russischen Straflager verweilen müssen, wenn sie überhaupt lebend herausgekommen wären. Für Nawalny kam jede Hilfe zu spät. Auch bei ihm stand vor ein paar Monaten ein Gefangenenaustausch im Gespräch, den man damals abgelehnt hat. “Ich bekam am Abend des 15. Februar eine Bestätigung, dass die Verhandlungen im Endstadium sind”, sagte Maria Pewtschich, die zu den engsten Vertrauten Nawalnys gehört in einem YouTube-Video. Nur einen Tag später verkündete Russland den Tod Nawalnys.
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